In meinem neuesten Buch geht es wieder mal um das Spannungsfeld zwischen Naturwissenschaft, Gottesglaube, Kosmologie, Religion und Philosophie, unten abgebildet seht ihr den Pferdekopfnebel aus dem Sternbild Orion, eine Dunkelwolke in einem Bereich unserer Milchstraße, wo ständig neue Sterne entstehen. Das Cover des neuen Sachbuchs zeigt die Erdoberfläche, darüber die Milchstraße mit dem Sternenzelt. Ist da wer? bezieht sich natürlich provokativ auf die Frage, ob wir da mit Gott rechnen können. Wenn ja, dann wird es nicht eine uns liebende Person sein. Ich versuche, die Gottesfrage völlig neu zu entwerfen.
Einige Folien aus meinem damaligen Religionsunterricht zum Thema Verhältnis von Geist und Materie sowie einige Folien zum Anthropischen Prinzip
Vorwort
Die Frage nach Gott lässt uns nicht los. Sie erscheint selbst unter den Bedingungen der modernen Welt in zahlreichen Facetten, die sich lediglich in der Form unterscheiden von den klassischen Antworten auf die Gottesfrage: worin liegt der Grund des Seins? Beim Blick auf die Milliarden Galaxien in unserem Universum entsteht automatisch die Frage: Wo ist unser Ort? Haben wir überhaupt noch einen Ort? Hat das Ganze einen Sinn? Wer oder was hat das alles hervorgebracht? Und nicht zuletzt die existenzielle Frage: Welches Verhältnis besteht zwischen meinem bescheidenen Leben und dem Kosmos? Gibt es eine denkerische Alternative zu dem in allen Naturwissenschaften inzwischen selbstverständlichen Rekurs auf die Zufälligkeit allen Seins? Schauen wir ins Universum hinaus, so begegnen uns dort monströse Dimensionen, die offensichtlich unsere Vorstellungskraft überfordern, ja, die gar nichts zu tun zu haben scheinen mit uns Menschen. Sofort kommt das Wort von Pascal ins Bewusstsein, der sich erschüttert zeigte vom Anhauch der leeren Räume, die uns nicht meinen. Auf der anderen Seite haben die tradierten religiösen Formeln an Aussagekraft verloren. Viele Menschen verlassen die Kirchen nicht deshalb, weil sie berechtigte Kritik an der Institution haben, sondern weil die bildhafte Rede von Gott und seinen Heerscharen ihnen allzu märchenhaft und unwirklich daherkommt und in einem offenkundigen Widerspruch zur aufgeklärten Welt steht. Gleichwohl ist das Verlangen nach einem letzten Sinn ungebrochen. Warum existiert überhaupt irgendetwas? Welche Rolle spielt mein eigenes, kontingentes Dasein? Die überkommene Rede von Gott stammt aus einer Zeit, wo die Erde noch im Mittelpunkt des Kosmos stand und der Himmel gleich oberhalb der schützenden Käseglocke begann, dort, wo an der äußeren Sphäre man die Fixsterne befestigt glaubte. Gott war demzufolge gar nicht weit weg. Der Himmel war in Erdennähe. Schon auf den ersten Blick erkennt auch der gläubige Mensch die Diskrepanz. Diese Geborgenheit in der Nähe Gottes kann es heute nicht mehr geben. Der liebende Gottvater kommt in diesem gigantischen Universum einfach nicht mehr vor. Alte Gottesvorstellungen und aktuelle Kosmologie sind unvereinbar. Das führte zu einer Nischenexistenz noch geduldeter, privatisierter Religiosität, die im öffentlichen Diskurs nicht mehr vorkommt. Aus Sicht der Gebildeten geriet der Glaube fortan zu einer Form von Minderwissen oder schlimmstenfalls zu einer Form der Ignoranz der wissenschaftlichen Faktenlage. Viele Gläubige weichen der Frage aus, ob der menschenartige Gott, den sie bekennen, tatsächlich existiert. Man begnügt sich mit der Symbolik und macht aus der Glaubenspraxis im Gefolge Kants eine ethische Pflichtveranstaltung. Man hat säuberlich getrennt zwischen Naturwissenschaft und Religion. Keiner kam dem anderen ins Gehege. Leider müssen wir uns seit dem 11. September 2001 auch mit religiösen Abarten befassen, mit Rechthaberei und Fanatismus, die eher dazu angetan sind, das gesamte Projekt Religion in Frage zu stellen.
Wollten wir uns mit diesen Beobachtungen abfinden, so wäre der Atheismus die konsequenteste Reaktion. Doch dass unser Universum einfach so aus dem Nichts trat ohne tieferen Grund, kann sich so recht auch niemand vorstellen. Jede Pizza, die gebacken und ins Haus geliefert wird, bedarf eines Auftrags. Der Kunde muss sie bestellt haben. Aber ausgerechnet vom Universum glaubt man, dass es einfach so da war, mal eben entstanden wie im Vorrübergehen? Da passt auch etwas offensichtlich nicht zusammen. Paradoxerweise kamen in den letzten Jahrzehnten viele Impulse aus den Naturwissenschaften und aus der Kosmologie, die die Chance boten zu einer Neuformulierung der Gottesfrage, eine Entwicklung, die die Kirchen nicht zur Kenntnis genommen haben. Denn der Atheismus der Naturwissenschaften ist nur ein methodischer, kein prinzipieller. Dazu gehören neben dem Urknallmodell das auffällige Finetuning der physikalischen Parameter nebst dem Anthropischen Prinzip, das uns vor Augen geführt hat, wie eng der Flaschenhals bereits am Anfang gewesen sein muss für ein Universum, das Beobachter zulässt. Dazu gehört ebenfalls die Erkenntnis einer irreversiblen Geschichte unseres Universums seit dem Urknall mit vielfachen Symmetriebrüchen, Unstetigkeiten und Emergenzen, die immer wieder Neues entstehen lassen auf allen Skalen des Seins. In diesem Prozessgeschehen sind nach nur knapp 14 Milliarden Jahren bereits Beobachter entstanden, während unser Universum soeben seine Babystube verlassen hat und sich in der noch lange währenden Wasserstoff-Ära befindet, in welcher fortlaufend neue Sterne in den Galaxien entstehen aus Wasserstoff und Helium. Der Neodarwinismus ist bei der Frage, wie es zur Spontanentstehung des Lebens in den Urmeeren unseres Planeten kam, noch nicht über Lösungsansätze hinausgekommen. Auch wenn man theoretisch von einer lückenlosen kausalen Erklärbarkeit ausgeht, so bleibt das Phänomen des Lebens ein Mysterium. Die Evolution des Lebens auf der Erde und seine Höherentwicklung stellt ebenfalls eine einmalige Prozessgeschichte dar, die sogar unsere Biografien zugelassen hat, Sprache, Kunst, Philosophie und Wissenschaft. Die ganze Geschichte unseres Universums folgt einem Trend zunehmender Komplexifizierung. Auf allen seinen Ebenen findet ein und dasselbe Prinzip immer wieder Anwendung: die Selbststeuerung materiell-energetischer Arrangements. Leben ist das Ergebnis autopoietischer oder selbstregulativer Vorgänge, die jeweils nur ein kurzfristiges, zerbrechliches Muster bilden fernab vom thermischen Gleichgewicht. Unser Gehirn funktioniert als hochvernetzter, vielfach rückgekoppelter Organismus ebenfalls mit fließenden, kurzfristigen elektrochemischen Gleichgewichten auf einer chaotischen Grundstruktur. Sind diese offenkundigen Trends, das Emergenz-Phänomen und die immer wieder auftauchenden Regeln von Vernetzung, Rückkopplung und Entwicklung als Funktion der Zeit nichts weiter als Zufall oder steckt mehr dahinter? Mit dem Leben auf der Erde ist auch das Bewusstsein der Freiheit in die Welt gekommen. Wir besitzen die Freiheit, die Gottesbegrifflichkeit philosophisch, theologisch und naturwissenschaftlich völlig neu zu entwerfen. Dabei geht der Autor zunächst von dem merkwürdigen Phänomen aus, dass überhaupt in diesem Prozessgeschehen seit dem Urknall die Gottesfrage gestellt werden kann bzw. muss, ihre Antworten hingegen zeitbedingt und einem Wandel unterworfen sind. Wie wäre das möglich, wenn man das Universum nur als einen Behälter auffassen würde, in dem die materiellen Konfigurationen beziehungslos dahintreiben würden? Die naturwissenschaftliche Seite eines auf maximale Vielfalt ausgerichteten Universums einschließlich der aktuellen quantentheoretischen Sichtweise der Materie, die mehr Analogien zum Geist beinhaltet als zu kompakten, unzerstörbaren, ewigen Partikeln, wird in den ersten Kapiteln entfaltet. Es folgt die existenzielle Seite eines Wesens, das auch sein Leben selbst als zeitbedingten Prozess eines Auf und Ab, von Fülle und Mangel, Enttäuschung und Hoffnung erfährt bzw. erleidet. Wir durchschreiten die Lebensstadien und können den Augenblick nicht anhalten. Insofern nehmen wir an der Gesamtgeschichte unseres Universums teil. Das schließt auch den Tod mit ein, denn alles Zeitbedingte läuft auf den Punkt zu, wo es seine Gestalt verliert oder in anderen Gestalten aufgeht. Infolge unserer Bindung an den Gegenwartsfokus sind wir die inneren Zeugen für den sich selbst organisierenden fortlaufenden Prozess im Universum, zu dem wir mit unseren kreativen Lebensgeschichten unser Scherflein beitragen. Das moderne Gottesverständnis, das dem zeitgemäßen Welt- und Menschenbild gerecht wird, wendet sich ab vom Bild des metaphysischen Alleswissers und Allesbeherrschers. Wer oder was auch immer Welt und Mensch gewollt bzw. zugelassen hat, hat sich der Evolution bedient. Anstelle der traditionellen statischen Gottesvorstellungen in vollendeter Perfektion treten prozesshaft-dynamische. In den letzten Kapiteln skizziert der Autor das Bild eines lernfähigen Gottes, der mit uns unsichtbar durch die Zeiten geht, sich entwickelt und erst am Ende der Zeiten zu seiner Fülle gelangen wird. Die Idee der fortgesetzten Schöpfung (Creatio continua), bei der das Göttliche gewinnt oder verliert in der Fortzeugung des Universums, lässt unsere Biografien zum Erlebnisfeld werden für die kreative Selbsterfahrung des werdenden Gottes. Das moderne prozesstheologische Gottesverständnis wertet den Menschen auf zum Partner und Mitschöpfer anstelle der sündigen Kreatur früherer Jahrhunderte, die sich einer männlichen Autorität unterwirft. Göttliches ist auf allen Ebenen unseres Universums und in allen Stadien seiner Geschichte in jeweils unterschiedlichen Formen offenbar. Als treibende Kraft im Urknall, als Logos-Prinzip oder Weltvernunft im Kosmos, von der sich z.B. Einstein beeindruckt zeigte, in der langen Evolution des Lebens auf der Erde, der Hominisation, der Kulturgeschichte der Menschheit in gleicher Weise, schließlich auch in den seelsorgerisch-projektiven Gehalten der historisch gewachsenen Religionen, in denen eine personale Gottheit den Menschen Trost spendet. Der Mythos und die alten geozentrischen Gottesbilder sind dabei nur die überwundenen Stationen einer dynamischen Gottheit, die selber in Bewegung ist durch die Kultur- und Geistesgeschichte der Menschheit hindurch und gleichzeitig diese Bewegung selbst in der Zeit darstellt, mithin Subjekt und Objekt der Creatio continua repräsentiert.
Dieses Titelbild erschien mir geeignet für das Thema. Die Erde ist nur zu 1/5 zu sehen, der Rest ist Sternenhimmel bzw. unsere Galaxie. Faszinierend ist ja, dass unsere Milchstraße zum entfernteren Umfeld gehört, von dem wir abhängen. Gewissermaßen - so habe ich es auch im Buch beschrieben - können wir die Ökosysteme immer weiter nach außen verlagern. Ohne Milchstraße würde es uns nicht geben. Warum? Im intergalaktischen vorwiegend leeren Raum gibt es keine Gas- und Staubnebel, die die Grundbausteine enthalten, aus denen unsere Erde und alles Leben besteht. Nur innerhalb von Galaxien entstehen infolge von Gravitationsanomalien und durch Supernovae verursachte Druckwellen die nötigen Unstetigkeiten bzw. Verdichtungen, die zu Sternen mit ihren Planeten führen. Also dürfen wir auch der Milchstraße danken für unsere Existenz.